Wilfred & seine Dame – Besuch aus der Flimmerwelt

Wir sehen Dich!!!

„Wilfred!“

„Hm?“

„Da steht jemand im Zimmer.“

„Unsinn.“

„Doch! Da – genau da! Zwischen dem Satzende und dem Absatzanfang! Schau doch endlich hin!“

Wilfred runzelte die Stirn, drehte sich träge um – und erstarrte.

„Bei allen klebrigen Bonbons dieser Welt… du hast recht. Da steht ja wirklich jemand!“

Die Dame richtete sich auf, zupfte an einem unsichtbaren Faden an ihrem Kleid und flüsterte mit leichtem Zittern:

„Er… oder sie… schaut uns an!“

Dann, mit einem Aufglimmen in den Augen, das irgendwo zwischen Empörung und Neugier lag:

„Nun sag schon – wie heißt du?“

(Sie wartet.)

„Na los. Ich meine dich. Ja, genau dich.
Nicht den da hinter dir. Nicht irgendeinen zufälligen Leser,
den man im Plural verstecken kann.
Nein, du bist’s.

Du mit den Augen, die jetzt über diese Zeilen huschen.
Mit dem Finger, der zögert, weil er sich nicht sicher ist, ob er wirklich gemeint ist.

Du sitzt da – vor deiner kleinen Flimmerkiste,
vor deinem PC, deinem Handy, deinem Tablet,
in der Küche vielleicht, oder irgendwo zwischen zwei Atemzügen.
Ob du nun im Zug bist, auf der Couch,
oder so tust, als würdest du arbeiten –
ich sehe dich. Wir sehen dich.“

Die Dame lächelt.

„Also – sag schon. Wie heißt du?“

Wilfred grunzt.

„Nichts! Typisch. Diese Menschen aus der Flimmerwelt sind schrecklich schüchtern.“

Sie schlägt theatralisch den Fächer auf.

„Oder vorsichtig. Das ist ja auch kein Wunder – wer wird schon gern plötzlich von zwei Figuren angesprochen, die eigentlich aus einem Buch stammen sollten.“

Dann beugt sie sich näher, ihre Stimme wird weicher:

„Aber jetzt hör zu, du da vor dem Bildschirm. Wenn du diese Worte liest, dann liest vielleicht auch dich etwas.
Denn Geschichten – die echten, die mit Herzklopfen und Atem – haben eine seltsame Angewohnheit: Sie schauen zurück.“

Wilfred nickt langsam.

„Ja, da ist was dran. Siehst du’s auch, meine Liebe? Dieses kleine Flackern in den Augen? Wie bei jemandem, der kurz vergisst, wo Wirklichkeit anfängt und Erfindung aufhört?“

Die Dame lächelt, leise und wissend.

„Ich glaube, das ist der Moment, wo die Wörter anfangen, den Leser zu lesen.“

Schön, dass du da bist – und unsere Geschichte liest.
Gezeichnet: Wilfred und seine Dame.

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