Der Wanderer zwischen den Sonnen
(Eine Parabel inspiriert von 3I/ATLAS)
von Markus Bodenmüller
Vor-Klang – Bevor er kam
Manchmal ahnt man das Kommen des Unbekannten,
bevor es geschieht.
Nicht durch Zeichen am Himmel,
sondern durch ein Zittern im Inneren,
als würde das Herz auf eine Melodie antworten,
die noch niemand gespielt hat.
So beginnen Begegnungen mit dem Fremden:
nicht draußen,
sondern dort,
wo das Eigene zu leuchten aufhört
und das Weite beginnt.
Vielleicht hat der Wanderer uns schon gerufen,
bevor wir überhaupt wussten,
dass er unterwegs war.
Der Wanderer
Es war einmal ein Reisender aus fernem Licht.
Niemand wusste, woher er kam – nur, dass er kam,
leise und ungerufen, wie ein Gedanke,
den der Himmel vergessen hatte und nun wieder träumte.
Er trug keinen Namen,
bis die Menschen ihn „Atlas“ nannten,
weil er schien, das Gewicht der Sterne zu tragen.
Und wirklich: In seinem Schweif funkelte Staub,
so alt, dass selbst das Licht ihn nicht mehr kannte.
Die Planeten raunten, als er kam.
Sie, die sonst nur im Kreis gingen,
sahen zum ersten Mal etwas,
das kam, ohne zu bleiben,
und blieb, ohne zu gehören.
Die Sonne selbst neigte sich ihm zu,
nicht aus Neugier,
sondern weil sie in ihm etwas erkannte –
das eigene Vergessen vielleicht.
Denn der Wanderer trug Erinnerung in sich:
von Sonnen, die längst verglüht,
von Welten, die nur noch in Träumen leuchten.
Er war kein Besucher,
er war ein Bote des Dazwischen.
Als er die Bahn der Erde kreuzte,
wurde der Himmel für einen Augenblick still.
Manche Menschen spürten es –
ein leises Drängen in der Brust,
ein Ruf, den sie nicht deuten konnten.
Einige schauten in die Nacht
und fühlten sich erinnert,
ohne zu wissen, woran.
Andere schliefen und träumten von Heimkehr –
obwohl sie nie fortgewesen waren.
Dann zog der Wanderer weiter.
Kein Laut, kein Gruß, kein Nachglühen.
Nur eine feine Linie blieb,
wie ein Gedanke, der noch nicht zu Ende gedacht war.
Und vielleicht war das seine ganze Botschaft:
Dass nichts uns gehört,
nicht einmal das Licht,
und dass jede Begegnung,
wenn sie wahr ist,
ein Stück Ewigkeit trägt.
Und so verließ er unser Sonnensystem –
nicht als Fremder,
sondern als Erinnerung daran,
dass wir alle Reisende sind
zwischen den Sonnen.
Nach-Klang – Nachdem er ging
Und als er längst fort war,
blieb etwas offen –
wie ein Fenster, das der Wind vergaß.
Manche hörten nachts ein fernes Knistern,
wie von Staub, der Geschichten flüstert.
Andere spürten nur eine neue Weite,
ein stilles Wissen,
dass es mehr Himmel gibt,
als man sehen kann.
Vielleicht war das seine Spur:
Nicht das Licht, das er brachte,
sondern der Raum,
den er in uns ließ.