Der Bahnhof zwischen den Welten

von Markus Bodenmüller

Es gibt einen Ort,
den man nur erreicht,
wenn man zu lange gewartet hat.

Er liegt nicht auf der Karte,
und doch kennt ihn jeder,
der einmal nicht mehr wusste, wohin.
Manchmal nennt ihn jemand Traum,
manchmal Leere,
manchmal einfach: Ich weiß nicht mehr weiter.

Dort steht man dann,
zwischen den Schienen des Vergangenen
und den Gleisen des Kommenden.

Die Luft summt,
wie von einem Zug,
der gleich einfahren müsste –
doch er kommt nicht.

Nur das Licht flackert,
und irgendwo tropft Zeit
in ein rostiges Becken.
Die Uhren gehen,
aber sie zählen nichts.
Man weiß nicht,
ob man früh ist
oder zu spät.

Man hat den Koffer gepackt
mit allem, was man war –
Erinnerungen, Stimmen, Schatten –
und doch ist er leer.

Im Schaufenster der Stille
spiegelt sich ein Gesicht,
vertraut und fremd zugleich,
und man erkennt sich nur daran,
dass man noch atmet.

Vielleicht,
sagt eine Stimme,
vielleicht ist das der Ort,
an dem man nicht mehr suchen soll.

Vielleicht ist Warten
selbst schon Bewegung.
Vielleicht sind die Türen zu,
weil der Zug in dir
erst gebaut wird.

Und irgendwo,
vielleicht nur in der Erinnerung,
sitzt ein Eremit.

Er entzündet seine Laterne,
auch wenn es Tag ist –
weil sein Licht nicht die Welt,
sondern das Herz erhellt.

Und auf einem der Gleise
liegt ein winziges Samenkorn –
unsichtbar,
doch bereit.

Es hat die Geduld
von Jahrhunderten.
Und wenn man ganz still ist,
kann man es wachsen hören.

Dann begreift man:
Das Dazwischen
ist kein Fehler.
Es ist die Atempause
der Schöpfung.

Der Ort,
an dem das Leben
die Farbe wechselt,
bevor es dich weiterschickt.

Und vielleicht,
wenn der nächste Zug kommt,
wird er nicht von außen kommen,
sondern aus dir heraus.

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