Der Junge mit den glänzenden Worten

Eine Parabel über Nähe, die früh Verantwortung übernimmt.

von Markus Bodenmüller


Es gab einmal einen Jungen, der schien stets ein wenig schneller zu verstehen als die anderen.
Nicht viel.
Nur gerade so viel, dass die Erwachsenen sagten:
„Wie klug er ist!“

Der Junge mochte diesen Satz sehr.
Nicht, weil er wichtig klingen wollte,
sondern weil die Gesichter der Erwachsenen dabei warm wurden.
Ihre Stimmen wurden milder.
Ihre Hände ruhiger.
Er verstand nicht, was er verstand –
doch er verstand, dass Verstehen Türöffner war.

So sprach er mit Worten, die glänzten.
Nicht, um zu glänzen,
sondern damit die Türen offen blieben
und niemand dahinter verschwand.

Mit der Zeit aber merkten die Menschen nicht mehr, dass er ein Junge war.
Sie sahen nur noch die glänzenden Worte.
Wenn er schwieg,
wurde er unsichtbar.

Also lernte er, das Schweigen zu füllen.
Er formte Gedanken wie Lampen,
damit sie ihm Licht machten,
wenn niemand hinsah.

Doch eines Tages traf er ein Mädchen, das kaum sprach.
Nicht, weil sie nichts zu sagen hatte,
sondern weil sie auf Worte nicht hörte.
Sie hörte auf Stimmen.
Und auf Atem.

Als der Junge ihr etwas Kluges zeigen wollte,
hörte sie zu, ohne sich zu beeindrucken.
Und da geschah etwas Ungewohntes:
Seine Worte leuchteten nicht.
Sie standen einfach nur da,
wie Kiesel neben einem stillen Teich.

„Warum sagst du solche schweren Dinge?“ fragte sie schließlich.
Der Junge wusste es nicht.
Er hatte nie gefragt.

Sie setzte sich neben ihn.
So nah, dass er nichts sagen musste.
So nah, dass er nichts sagen konnte.

Zum ersten Mal merkte er,
wie schwer Worte werden,
wenn sie niemandem etwas beweisen müssen.
Und wie leicht ein Mensch sein kann,
wenn er nur still neben jemandem sitzt.

Er dachte nach, doch er sagte nichts.
Und seltsam:
Die Stille blieb,
und sie blieb bei ihm.

Da begriff der Junge etwas,
ohne es zu verstehen:

Dass Nähe nicht klug sein will.
Sie will nur nicht verloren gehen.

Und an diesem Tag begann er,
Worte nicht mehr zu schmieden,
sondern wachsen zu lassen.
Langsam,
wie Gras im Licht.


Wer mag, bleibt im Zauber.

Wer weiterliest, findet Wirklichkeit hinter dem Bild.

Nach oben scrollen