Die Straße ohne Abzweigung
von Markus Bodenmüller
Es gab eine Straße,
die war breit
und gut asphaltiert.
Schilder standen an ihrem Rand,
groß und gut lesbar:
WEITER
JETZT
NICHT ZÖGERN
Die Menschen liebten diese Straße.
Sie konnten gehen, ohne nachzudenken.
Man kam voran.
Man kam schnell voran.
Wer innehielt,
wurde freundlich ermahnt.
„Alles gut“, sagten die anderen.
„Du musst nur wieder loslaufen.“
Und viele taten es.
Sie liefen schneller,
gleichmäßiger,
entschlossener.
Manche bekamen starke Beine.
Manche Ausdauer.
Manche Preise.
Doch hin und wieder
stand jemand am Rand
und spürte etwas Seltsames:
Die Straße hatte keine Abzweigung.
Nicht links.
Nicht rechts.
Nicht einmal eine schmale Spur ins Feld.
Nur geradeaus.
Eines Tages blieb ein Mensch stehen.
Nicht aus Müdigkeit.
Nicht aus Trotz.
Sondern, weil etwas in ihm leise fragte:
„Wohin eigentlich?“
Die Frage war so leise,
dass man sie im Laufen nicht hören konnte.
Der Mensch trat einen Schritt zur Seite.
Nur einen.
Nicht weg von der Straße –
nur neben sie.
Dort war kein Weg.
Nur Gras.
Und Zeit.
Zuerst geschah nichts.
Die Straße rauschte weiter.
Schritte, Rufe, Ermutigungen.
Doch mit der Zeit
zeichnete sich im Gras
eine feine Linie ab.
Nicht gemacht.
Nicht geplant.
Entstanden.
Ein Pfad,
so schmal,
dass man ihn nur sah,
wenn man still genug war.
Der Mensch ging ihn nicht sofort.
Er blieb noch eine Weile stehen.
Hörte.
Spürte.
Und als er ging,
war es nicht schneller.
Aber es hatte Richtung.
Nachklang
Nicht jede Bewegung braucht mehr Kraft.
Manche braucht Richtung.
Und Richtung entsteht nicht im Gasgeben,
sondern dort,
wo man sich erlaubt,
kurz neben der Straße zu stehen.
Wenn du hier aufhörst, reicht es.
Wenn du weiter ausprobieren möchtest,
kannst du das auch tun.