Wenn das Gedicht weiterdenken will
Manchmal reicht ein einziger Satz,
und das Gedicht will weiterdenken.
Nicht, um sich zu erklären,
sondern um seine eigene Logik zu verstehen.
So führt der leise Ruf der Vorsehung
vom Gefühl zur Erkenntnis –
vom Schritt zur Haltung,
vom Augenblick zur Hingabe.
Vom Augenblick zur Hingabe – Die Schwerkraft der Seele
Wir messen unser Leben meist in Chronos –
der Zeit, die gleichmäßig und unerbittlich verrinnt.
Sie ist der Takt der Fabrik: präzise, berechenbar,
und sie lehrt uns, effizient und unfehlbar zu sein.
Doch wahres Leben geschieht in Kairos –
dem qualitativen Augenblick.
Kairos ist der Moment,
in dem die Vorsehung, die uns ruft,
sich in der Gegenwart verdichtet.
Es ist jener Atemzug,
in dem wir spüren, dass „das Leben schon losgelaufen ist“.
Dieser Moment verlangt Mut:
Wir müssen das Vertraute loslassen
und die Gelegenheit beim Schopf ergreifen,
bevor sie uns kahlköpfig entwischt.
Kairos ist der Moment der Tat;
doch die Haltung, mit der wir diese Tat und ihre Folgen empfangen,
heißt Amor Fati.
Amor Fati – die Liebe zu allem, was uns das Schicksal bringt.
Nietzsche forderte, nicht nur das Notwendige zu ertragen,
sondern es zu bejahen und zu lieben.
Das ist die radikale Akzeptanz,
die uns aus der Opferrolle löst.
In dieser Definition der Vorsehung
verbinden sich diese Pole auf zutiefst menschliche Weise:
„Vielleicht ist Vorsehung nur die Liebe des Lebens zu uns —
und Hingabe der Moment,
in dem wir aufhören, diese Liebe zu bezweifeln.“
Vorsehung ist die Schwerkraft der Seele,
die uns zu unserer Geschichte zieht.
Kairos ist der Test dieser Liebe:
das Ereignis – der Blick, die Hand, der leichte Schritt –,
das unsere Zweifel herausfordert.
Amor Fati ist die Antwort auf diesen Test:
das grundlegende Ja!,
das es uns erlaubt, diesen Augenblick zu umarmen –
ob er Freude oder Schmerz bringt.
Wenn wir den Ruf der Vorsehung nicht mehr bezweifeln –
wenn wir uns hingeben –,
wird der Schritt plötzlich leicht.
Das ist der Beweis, dass wir den Kairos nicht verpasst haben,
weil wir uns längst für das Leben entschieden haben –
und damit für das Fatum.
Dann treibt uns das Schicksal nicht länger,
sondern trägt uns die Liebe,
die unsere Geschichte für uns bereithält.
Nachklang I – über die Zeit
Vielleicht ist das das wahre Geheimnis der Zeit:
dass sie uns nicht fortträgt, sondern heimbringt.
Dass alles, was wir für Zufall hielten,
in Wahrheit Begegnung war.
Und dass selbst die Umwege
Teil des Tanzes sind,
mit dem das Leben uns erinnert,
wer wir schon immer waren.
Nachklang II – über die Vorsehung
Vielleicht ist Vorsehung
nicht der Plan, den jemand schrieb,
sondern das Vertrauen,
dass jeder Schritt, den wir wagen,
schon Teil des Weges ist.
Und dass das Leben
niemals gegen uns arbeitet –
nur dafür, dass wir wach werden.
Wenn Amor Fati das Ja zum Geschehen ist,
dann ist vielleicht Vorsehung das stille Vertrauen,
dass dieses Ja auch ohne unser Zutun gilt.
→ Und doch mich liebend – ein Gedicht über das Geführtsein ohne Leistung.