Wenn das Nervensystem endlich leise genug wird, um sich selbst zu hören
von Markus Bodenmüller
Es gibt Momente,
in denen der Körper nicht mehr rufen will.
Er will auch nicht kämpfen,
nicht ausweichen,
nicht nach vorne stürmen.
Er will nur eins:
leise werden.
Nicht müde.
Nicht passiv.
Not erschöpft.
Sondern leise –
so, wie Wasser leise wird,
wenn niemand mehr darin herumrührt.
Ich habe lange geglaubt,
ein ruhiges Nervensystem sei ein Ziel,
ein Zustand,
den man erreichen müsse:
durch Entspannung,
durch Atemtechniken,
durch Übungen,
durch Disziplin.
Doch je länger ich forsche – in mir, an anderen, im Alltag –
desto klarer wird mir:
Ein Nervensystem beruhigt sich nicht durch Tun.
Es beruhigt sich, wenn es merkt:
Ich bin bei mir.
Nicht bei einer Technik.
Nicht bei einem Ideal.
Nicht bei einer Rolle.
Sondern bei mir.
Das stille Nervensystem
ist nicht das,
das sich wegduckt.
Es ist das,
das bleibt.
Stille im Inneren heißt nicht,
dass nichts passiert.
Es heißt,
dass nichts überläuft.
Wenn das Nervensystem leise wird,
passiert etwas Merkwürdiges:
Der Atem wird nicht tiefer,
er wird wahrer.
Er fällt nicht mehr,
er landet.
Er hebt nicht mehr,
er trägt.
Die Schultern hören auf,
Gespräche mitzuschleppen.
Der Bauch hört auf,
für alle mitzudenken.
Der Brustkorb hört auf,
sich vorzubereiten.
Nichts davon ist sichtbar.
Man sieht nur:
Einen Menschen,
der nicht mehr versucht,
jeden Moment zu verwalten.
Und das Nervensystem liebt das.
Es liebt Räume,
in denen es nicht gedrängt wird,
schneller zu reagieren,
als es atmen kann.
Man muss es nicht „regulieren“.
Man muss es nur
nicht ständig
überfordern.
Ein stilles Nervensystem ist kein Ziel.
Es ist ein Umgang mit sich selbst.
Eine Form von Würde im Innen.
Wenn ich so leise werde,
ändert sich auch meine Art,
Welt wahrzunehmen:
- Geräusche tun nicht mehr weh.
- Andere Menschen sind nicht mehr Bedrohung.
- Nähe wird nicht mehr zu viel.
- Abstand wird nicht mehr zu wenig.
- Die Zukunft wird nicht mehr zu schnell.
- Die Vergangenheit wird nicht mehr zu laut.
Es ist,
als ob der Körper sagt:
„Ich kann wieder zuhören –
auch dir.“
Vielleicht ist das
die wahre Bedeutung eines leisen Nervensystems:
Nicht, dass es ruhig ist,
sondern dass es nicht länger schreien muss,
um gehört zu werden.
Ein Atemzug,
der sagt:
„Ich bin sicher genug,
da zu sein.“