Wie das Licht mich fand

Eine Parabel über Sichtbarkeit und Demut


Einleitung

Es gibt Zeiten, in denen wir glauben,
leise zu sein sei edler als sichtbar.
Wir treten zurück, um Raum zu lassen –
und vergessen,
dass das Leben auch uns gemeint hat,
als es vom Leuchten sprach.

Diese Zeilen erzählen von einem stillen Irrtum:
dass Licht nur dann schön ist,
wenn es auf andere fällt.
Und von dem Moment,
in dem ein Mensch begreift,
dass auch sein Gesicht Teil der Helligkeit ist.


Parabel – Der Mann im Schatten der Lampe

Es war einmal ein Mann, der stellte eine Lampe auf den Tisch.
Sie war hell, warm, freundlich –
und doch stellte er sich nie in ihr Licht.

„So sehen die anderen besser“, sagte er.
„Ich kenne den Weg ja schon.“

Und so wies er jahrelang den Weg für andere –
leise, hilfsbereit, verlässlich.

Doch mit der Zeit bemerkte er,
dass sein eigenes Gesicht zu verblassen begann.

Nicht weil die Lampe dunkler wurde,
sondern weil er zu lange im Schatten stand.

Eines Abends kam ein Kind herein.
Es sah den Mann und fragte:
„Warum bleibst du im Dunkeln,
wenn du das Licht gemacht hast?“

Der Mann lächelte verlegen.
„Weil ich nicht will, dass man mich sieht.“

Das Kind dachte nach,
nahm seine Hand
und führte sie in den Lichtkreis.

„Schau:“ sagte es,
„jetzt sieht man dich –
und das Licht leuchtet schöner.“


Gedicht – Der Platz in der Mitte

Ich stand am Rand,
so lange,
bis der Kreis sich schloss,
ohne mich.

Ich dachte,
das sei Demut.
Doch es war Angst.

Ich nannte es Rücksicht.
Doch es war Flucht.

Und als ich endlich trat,
einen Schritt,
nur einen,
in die Mitte,
zuckte das Licht –
nicht vor Schreck,
sondern vor Freude.

Denn das, was fehlte,
war nicht mein Schweigen.
Es war mein Gesicht –
im Licht.


Nachklang

Manchmal verwechseln wir Demut mit Unsichtbarkeit.
Wir glauben, Liebe brauche Platz –
und übersehen, dass sie uns selbst meint.

Doch Licht teilt sich nicht, wenn wir kleiner werden.
Es wird größer,
wenn wir uns zeigen.

Vielleicht ist Sichtbarkeit kein Stolz,
sondern eine Form von Dankbarkeit,
dass wir leuchten dürfen.

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