Der volle Korb

von Markus Bodenmüller


Eine Frau ging jeden Morgen denselben Weg.
Sie trug einen Korb bei sich, sorgfältig geflochten, fest und schön.

Wer ihr begegnete, durfte hineinlegen,
was er gerade bei sich trug:
ein Wort,
eine Sorge,
ein Dank,
manchmal nur ein Blick.

Die Frau nickte dann
und ging weiter.

Der Korb füllte sich.
Nicht auf einmal schwer.
Nur stetig.

Eines Tages blieb sie stehen.
Nicht aus Erschöpfung –
sondern aus Aufmerksamkeit.
Sie stellte den Korb ab,
setzte sich daneben
und atmete.

Die Menschen gingen weiter.
Manche wunderten sich.
Manche legten trotzdem noch etwas hinein.
Andere gingen vorbei.

Der Korb stand da.
Voll.
Ungeöffnet.

Die Frau stand auf,
nahm den Korb wieder auf –
aber anders.

Sie ging langsamer.
Und nicht mehr jeden Weg.


Es gibt Menschen,
die meinen es gut.
Sehr gut sogar.

Sie hören zu,
sie fühlen mit,
sie danken, spiegeln, verbinden.

Und doch geschieht etwas Seltsames:
Man wird müde in ihrer Nähe.
Nicht plötzlich.
Sondern langsam.
Wie nach einer Mahlzeit, die zu reich war.

Nicht, weil sie nehmen wollen.
Sondern weil sie sich anlehnen,
ohne zu merken,
wie viel Gewicht sie abgeben.

Nähe braucht Maß.
Wie Nahrung.
Wie Wärme.
Wie Worte.

Man darf freundlich bleiben
und trotzdem einen Schritt zurückgehen.
Nicht aus Kälte.
Sondern aus Selbstachtung.

Denn manchmal
ist Abstand
keine Trennung –
sondern die einzige Art,
sich nicht zu verlieren.

Vielleicht ist Selbstfürsorge manchmal nichts anderes,
als den eigenen Korb rechtzeitig abzustellen.

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